Heute leben wir in einer Linear- oder Wegwerfwirtschaft. Produkte werden gefertigt, genutzt und dann weggeworfen. Der Prozess beschleunigt sich sogar: Die Lebensdauer von Produkten wird in vielen Branchen immer kürzer und Produkte, die über eine lange Zeit stete, aber begrenzte Einnahmen bedeuten, spielen für viele Unternehmen eine immer kleinere Rolle. Gleichzeitig gilt aber: Je mehr gefertigt wird, desto mehr Müll entsteht. Der Ressourcenverbrauch der Menschheit steigt exponenziell an und wird sich bis 2060 verdoppelt haben.
Aber muss das so sein? Kann unsere Wirtschaftsordnung nicht auch ohne Müll funktionieren? Zero Waste als Konzept oder Philosophie geht davon aus, dass ein Leben ohne Müll möglich ist. Dazu muss aus der Linearwirtschaft eine Kreislaufwirtschaft werden. Produkte werden nach ihrer Benutzung nicht entsorgt, sondern wieder benutzt oder als Komponenten und Rohstoffe von neuem als Wertstoff in den Kreislauf zurückgeführt – „cradle to cradle“ (C2C), von Wiege zu Wiege bzw. vom Ursprung zum Ursprung.
Wie realistisch ist Zero Waste?
Dass die Klimakrise unsere Lebensgrundlagen bedroht, ist im Bewusstsein der Gesellschaft angekommen. Dass der exzessive Ressourcenverbrauch damit verbunden und ebenso bedrohlich ist, gewinnt erst so langsam die breite Aufmerksamkeit. Zero Waste wird damit aber zunehmend zu einem Megathema in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.
Wie das Bekämpfen der Klimakrise braucht auch Zero Waste ein massives Umdenken und verlangt unserem Wirtschafts- und Gesellschaftssystem einiges ab. Aber die Klimakrise zeigt, dass für derart große Herausforderungen bereits Lösungen existieren. Sie zeigt dies etwa am Beispiel der Energiewende, die es – konsequent umgesetzt – möglich machen kann, wirtschaftliche Entwicklung vom Verbrauch fossiler Brennstoffe abzukoppeln (wobei dies allein nicht ausreichen wird, um auch nur das 2°-Ziel zu erreichen). Nichtsdestotrotz kommt diese Erkenntnis so langsam auch auf Kapitalmärkten an – und Kreislaufwirtschaft wird zu einem entscheidenden Wirtschaftssektor. Um den Übergang zu fördern, braucht es geeignete politische Rahmenbedingungen.
Allerdings ist Zero Waste außerordentlich komplex. Während es beim Bekämpfen der Klimakrise in erster Linie darum geht, einen bestimmten Stoffstrom durch nachhaltige Alternativen zu ersetzen, betrifft Zero Waste eine unglaubliche Vielzahl unterschiedlicher Materialien, Produkte und Prozesse. Für viele müssen individuelle Lösungen gefunden werden.
Entscheidend ist, nicht dem Missverständnis zu unterliegen, Zero Waste sei ein Thema, das nur das Ende der Wertschöpfungskette betrifft. Zero Waste wird nicht allein dadurch erreicht, dass die Abfallwirtschaft immer bessere Sortier- und Recyclinganlagen entwickelt. Für Zero Waste muss vor allem der Anfang der Wertschöpfungskette in den Blick genommen werden. Wenn Produkte und Prozesse nicht in Richtung Müllvermeidung neu gedacht werden, ist Zero Waste nicht erreichbar. Und genauso wenig wird es ohne die Frage gehen, wieviel Konsum wir eigentlich brauchen und wollen.
Was bedeutet Zero Waste in der Praxis?
- Müllvermeidung (reduce): Die einfachste Umsetzung von Zero Waste ist die Vermeidung von Abfall. Das passiert natürlich, wenn auf Konsum verzichtet oder die Form des Konsums verändert wird – indem Menschen beispielsweise in kleineren Wohnungen mit weniger und langlebigeren Möbeln leben oder indem sie Gebrauchsgegenstände wie Fahr- oder Werkzeuge teilen. Auch eine bessere Planung von Bedarfen führt dazu, dass kein unnötiger Abfall entsteht, zum Beispiel bei Lebensmitteln. Nicht zwingend notwendige Bestandteile von Produkten können eingespart werden, beispielsweise Verpackungen. Und manche Funktionen von Produkten können auch mit reduzierter Materialmenge realisiert werden.
- Wiederverwendung (reuse): Ein anderer Ansatz besteht darin, die Lebensdauer von Produkten zu verlängern. Zum Beispiel, indem gebrauchte, aber noch funktionstüchtige Dinge nicht weggeworfen werden, sondern refurbished und/oder weiterverkauft, zum Beispiel in Second-Hand-Läden oder über ebay. Auch kaputte Gegenstände werden oft weggeworfen, obwohl sie oft noch repariert werden könnten. Eine längere Lebensdauer wird durch Eigenschaften wie Reparaturfreundlichkeit, Waschbarkeit oder Wiederbefüllbarkeit gefördert. Und man kann darauf achten, statt Einwegprodukten wiederverwendbare Produkte zu benutzen, zum Beispiel Mehrwegflaschen oder Stoffwindeln. Auch Leasing- oder Teil-Modelle können zu einer größeren Wiederverwendung führen, beispielsweise beim Carsharing oder auch bei gemeinsamer Nutzung von Gebrauchsgegenständen wie Werkzeug.
- Umwandlung in Wertstoffe (recycle): Recycling bedeutet, dass Abfallströme so aufbereitet werden, dass wieder vermarktungsfähige Rohstoffe entstehen. Weit verbreitet ist das bei Papier, Glas oder Kunststoffen. Allerdings besteht die Herausforderung des Downcycling. Je nach Materialtyp erreichen die Recyclingrohstoffe oft nicht die selbe Qualität wie Primärrohstoffe – was in vielen Fällen bedeutet, dass sie bei weniger Produkten zum Einsatz kommen können. Je besser die Sortierung und die Materialreinheit, desto besser die Qualität der Recyclingrohstoffe. Zero Waste bedeutet, dass Produkte von Vornherein recyclingfreundlich gestaltet werden, beispielsweise durch den Verzicht auf Verbundwerkstoffe. Und es sollte möglichst viel Recyclingrohstoff bei der Herstellung von Produkten zum Einsatz kommen. Letzten Endes braucht es aber natürlich auch bessere Recyclingtechnologien und eine höhere Wirtschaftlichkeit des Recycling – unter anderem, indem die echten externen Kosten von Einwegprodukten in Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen mit einbezogen werden.
- Kompostierung (rot): Für organische Materialien stellt die Natur einen ausgezeichneten Recyclingprozess bereit. Vor allem aus Küchen- und Gartenabfällen entsteht durch Kompostierung Kompostmaterial, das als hochwertiger Dünger zur Bodenverbesserung eingesetzt werden kann. Kompostiert werden kann für den Hausgebrauch genauso wie mit technischen oder großtechnischen Verfahren.
- Umgestalten von Produkten und Prozessen, damit Müll gar nicht erst entsteht (re-Design): Produkte und Prozesse kreislauffähig zu gestalten, ist oft keine einfache Angelegenheit. In vielen Fällen sind sie sogar auf die Wegwerfgesellschaft zugeschnitten. Nachhaltige und recyclingfähige Materialien haben andere Eigenschaften und brauchen andere Fertigungsprozesse, beispielsweise wenn es darum geht, Holz statt Metall im Maschinenbau einzusetzen oder kompostierbare Textilien zu entwickeln. Auch Käufer:innen von Produkten müssen möglicherweise umdenken, etwa bei ihren Einkaufsgewohnheiten oder der Produktverwendung. Und für eine Förderung der Wiederverwendung braucht es andere Geschäftsmodelle – beispielsweise die Bereitstellung einer Dienstleistung statt den Verkauf eines Produkts oder eine Kombination aus beidem, die wie eine deutlich verlängerte Reparaturgarantie funktionieren würde. Für Zero Waste braucht es deshalb innovative Pionier:innen in Wirtschaft und Forschung, die neuartige Wege beschreiten.